Thore Bendixen
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Storytelling in Kurzform. TikToks, Instagram-Reels oder YouTube-Shorts sind maximal eine Minute lang, meist sogar kürzer. Wie verändern sich die Sehgewohnheiten und Medienrezeption und wie passen sich die Inhalte und Medienschaffende dem Trend an?
Ein Trend des linearen TV-Programms zeigt zudem eine Zuwendung zur eher treuen und meist älteren Zielgruppe. Ein Indikator ist dafür die Erweiterung der werberelevanten Zielgruppe von 14-49-Jährigen auf 14-59-Jährigen und der Retro-Trend mit der 100.000 Mark Show oder Glücksrad. Ebenso die langen Laufzeiten von Sendung, die nicht zur Sehgewohnheit von Gen Y und Z passen.
Unterschied TikTok vs. TV
Ein großer Unterschied der Medien ist, dass die Inhalte von TikToks, IG-Reels oder YT-Shorts deutlich kürzer sind als im TV. Das Storytelling des Short-Contents, vom Einstig in den ersten Sekunden bis zum Ende wird idealerweise in einer Minute erzählt. Doch auch hier sind Ähnlichkeiten zum damaligen viva TV oder MTV zu entdecken. Hier waren die Moderator*innen die Influencer der Millenials und die schnellen Wechsel der Inhalte sind ähnlich zum heutigen Content.
Im Jahre 2013 versuchter der lineare TV-Sender Joiz Deutschland ein Konzept von Social-Mitchmal-Fernsehen. Darauf deutete auch der Slogan hin:
„Früher war es der Zigarre rauchende Chefredakteur, der bestimmte, was im Fernsehen passierte, heute bist du es!“ Ein Spagat zwischen MTV-Inhalten und YouTube/Facebook. Die Zielgruppe für das neue Format war jedoch schon im Internet und wurde nicht mehr erreicht.
Wie passt sich TV, VoD und Werber dem Trend an?
Lineare Formate und VoD nutzen den Vertical-Trend verstärkt für die Markenverlängerung in den jungen Zielgruppen. Ein Beispiel ist Germanys Next Topmodel, das seit Jahren die Inhalte der Show, aber auch eigene Profile der Protagonistinnen als Brands aufbauen. Ebenso The Voice Kids (7,94 Mio. TikTok-Follower) oder Heute Show (2,18 Mio. Insta-Follower), die auf Social Media zu den TV-Profilen mit den meisten Views und Follower zählen.
Im Bereich Werbung findet ein Umdenken statt. Marken wie Aldi oder OBI nutzen die Reichweite auf Social Media für eine Markenverjüngung. Aldi setzt dabei z. B. virale Hits mit dem Realitystar Jeremy Fregrance. OBI hat 2022 die Digitalpräsenz als reichweitenstärksten YouTube-Kanal ausgebaut.
Einen Schritt weiter geht die Weiterentwicklung vom Casting-Format Pop Idol. Der Co-Schöpfer des Formats Simon Fuller hat ein Casting auf TikTok ausgerufen mit der Community als Juror:innen. Daraus ist die Tanz- und Musikgruppe The Future X entstanden. Veränderung ist aber auch auf Distributionsbasis zu erkennen. Die öffentlich-rechtlichen Sender greifen z. B. den Trend mit ihrem funk-Angebot auf. Die privaten Sendegruppen RTL und ProsiebenSat1 setzen verstärkt auf True-Crime und Reality-TV auf ihren Streaming-Plattformen, welche bei den Zielgruppen 20-29-Jährigen (True Crime) bzw. 30-49-Jährigen (Reality) beliebt sind. Auf den Social Media ist eine Verlängerung zu erkennen, dass z.B. Influencer wie Mirella Precek Reality-Shows kommentieren (reacten).
Chancen: Wie können wir Medienschaffende den vertical Trend nutzen?
Sowohl im klassischen als auch im digitalen Entertainment, die Grundzutaten sind gleichgeblieben. Eine starke Idee, eine wiedererkennbare Brand und schlüssiges Storytelling sind weiterhin essenziell. Die neuen Distributionsplattformen und die niedrigschwelligen Anschaffungskosten für Equipment und Software ermöglichen fast jedem mit dem passenden Know-how ein Publisher zu werden.
Für die neue Generation von Medienschaffenden bedeutet es einen vereinfachten Einstieg ins Business und zu einer eigenen Produktionsfirma. Die größte Konkurrenz sind dabei gar nicht die etablierten Medienhäuser, sondern die vielen Hobby-Creator, die mit starken Ideen meist sich selbst zu einer Brand aufbauen.
Fazit
Formate im TV, VoD haben den Trend zum Swipen von Vertical-Videos wenig entgegenzusetzen. Ihre Stärken liegen in den Sendungslängen und somit die Zeit, eine Tiefe im Storytelling herzustellen. Vergleichbare Inhalte zum schnelllebigen Short-Content sind noch die tagesaktuellen Nachrichten.
Der Onlinekonsum hat den deutlichen Vorteil, dass die Zuschauer:innen selbst zum Programmdirektor:in werden. Sie selbst entscheiden, was sie sehen möchten. Diese Möglichkeit gab es früher nur in der Videothek, im Kino oder eben beim Zappen.
Auf TikTok nutzen 58 % der User der auf KI-basierte Algorithmus personalisierten Videovorschlägen (61 % bei 12-19-Jährigen, 69 % bei 20-29-Jährigen, 43 % bei ab 30-Jährigen). Daraus lässt sich schließen, dass die neue Generation von Rezipienten gar nicht die Inhalte selbst aussuchen möchten, sondern sich ebenfalls durch eine kurierte Vorauswahl swipen – ähnlich zum Zappen vor dem Fernseher.